eine Kooperationsveranstaltung des Münchner Forum Nachhaltigkeit und der Evangelischen Stadtakademie München  und der Petra-Kelly-Stiftung.

 

Donnerstag, 7. April 2016

Referentin: Prof. Dr. Claudia Kemfert, Leiterin der Abteilung Energie, Verkehr und Umwelt am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), Professorin für Energiewirtschaft und Nachhaltigkeit an der Hertie School of Governance in Berlin, Gutachterin des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC), seit 2011 Mitglied im Club of Rome


Die Diskussionsrunde wurde eröffnet durch einen Impulsbeitrag von Dr. Helmut Paschlau, Vorstand der Umwelt-Akademie e.V., München, zum aktuellen Stand der Energiewende in München.

Impulsreferat Dr. Helmut Paschlau: Klicken Sie hier


Ist die Energiewende ein Erfolg? Keine leicht zu beantwortende Frage bei all dem Hin und Her seitens der Bundes- sowie der bayerischen Landesregierung und angesichts der sich heftig widersprechenden Argumente all der Lobbyisten unterschiedlichster Herkunft, die sich auf dem politischen Parkett tummeln. Obwohl die Energiewende drei Bereiche umfasst: die Stromwende (also die Produktion von „sauberem“ Strom), die Verkehrs-/Mobilitätswende (Ausbau des ÖPNV, E-Autos etc.) und die Wärmewende (Stichwort intelligente Gebäudeenergie), liegt hierzulande in der Diskussion der Fokus meist rein auf der Stromwende, obwohl drei Viertel unseres Energieverbrauchs auf Mobilität und Gebäude entfallen.

Mit der Energiewende sind ehrgeizige Ziele verbunden: Der Anteil der erneuerbaren Energien soll bis 2050 von heute 30% auf dann 80% steigen; gleichzeitig sollen die Treibhausgasemissionen bis 2020 um 40% und bis 2050 um 80–95% gesenkt werden. Zudem müssen wir deutlich energieeffizienter werden, sprich Energie sparen, um so die Nachfrage zu senken.

Können wir das schaffen? Und wenn ja, wie? Die Gegner der Energiewende argumentieren gern mit dem Schreckgespenst der mangelnden Versorgungssicherheit, z.B. während der sogenannten „Dunkelflaute“, also den wenigen Stunden im Jahr, wo weder die Sonne scheint noch Wind weht. Brauchen wir für solche Zeiten also unbedingt Kohle- und/oder Atomkraftwerke? Und was ist mit den Arbeitsplätzen, die verloren gehen, wenn alle Atom- und Kohlekraftwerke vom Netz gehen?

Zu all diesen Fragen sprechen die Fakten eine eindeutige Sprache, wie Frau Prof. Kemfert darlegen konnte:
Auch mit dem weiteren Ausbau von erneuerbaren Energien wie Wind- und Solarenergie, Biomasseanlagen oder aber Tiefengeothermie, Speichermöglichkeiten (wie beispielweise „Power to gas/heat“, Batterien, Pumpspeicherkraftwerke), verbesserter Energieeffizienz, dem Abbau von Stromverschwendung ist hier in Deutschland eine ausreichende Stromversorgung jenseits von Kohle- und/oder Atomstrom jederzeit gewährleistet. Im Gegenteil, wir könnten sogar weiterhin mehr erzeugen, als wir verbrauchen. Derzeit produzieren wir so viel Stromüberschuss, dass wir derzeit sogar Strom-Exportweltmeister sind – mit der Folge, dass der Börsenstrompreis denkbar niedrig ist. Beim Normalverbraucher kommen die niedrigen Börsenstrompreise nicht an, wohl aber bei der Industrie. In kaum einem anderen Land haben Unternehmen so geringe Energiestückkosten wie in Deutschland, da deutsche Unternehmen besonders energieeffizient sind, zudem nicht Stromkosten, sondern Energiekosten insgesamt (Öl, Gas) relevant sind. Der Strompreis ist für viele Unternehmen niedrig, nicht zuletzt dadurch, dass viele von der Zahlung der EEG-Umlage befreit sind und somit die privaten Haushalte diese über die EEG-Umlage (die vor allem aufgrund des historisch niedrigen Börsenstrompreises so hoch ist) subventionieren. Daher ist auch die Drohung, dass hiesige Unternehmen wegen zu hoher Strompreise ins Ausland abwandern könnten, ein zahnloser Tiger. Das Gleiche gilt für das immer wieder gern beschworene Arbeitsplatz-Argument: Etwa 40.000 Beschäftigten in Kohle- und Atomkraftwerken stehen über 350.000 Angestellte im Bereich der erneuerbaren Energien gegenüber. Wobei durch die Streichung der Förderung von Solarenergie durch die Bundesregierung 40.000 Arbeitsplätze weggefallen sind. Kleiner München-Exkurs: Der Ausstieg der Münchner Stadtwerke aus der Steinkohle würde ca. 200 Arbeitsplätze kosten, ein Ausbau der Geothermie aber weit mehr neue schaffen.

Tatsächlich ist der Kampf um die Energiewende ein Kampf „Alt gegen Neu“, zentrale gegen dezentrale Versorgung. Mit einem höheren Anteil an erneuerbaren Energien, „smart grids“, dezentralen Langzeitspeichern und einem intelligenten Last- und Energiemanagement (beispielsweise durch virtuelle Kraftwerke) würden sogar die derzeit politisch heiß umkämpften zusätzlichen Stromtrassen in Bayern überflüssig. Denn der geplante Netzausbau bezieht sich auf den vermehrten Transport von Kohlestrom aus Ostdeutschland und NRW. Dabei berücksichtigt die Bundesnetzagentur in nur unzureichendem Maße die Möglichkeit dezentraler Speicherung oder den Ausbau regionaler Stromerzeugung.

Fazit von Vortrag und Diskussion: Die Energiewende ist bisher in Deutschland durchaus positiv verlaufen. Und das liegt in erster Linie daran, dass sie eine Bewegung „von unten“ ist: 47% der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien liegen in Bürgerhand, also Privathaushalten, Genossenschaften etc. Ehrlicherweise müsste man also von einer Bürgerenergiewende sprechen. Und an den Bürgern wird es wohl auch weiterhin hängen, ob und wie es weitergeht, besonders im Hinblick darauf, dass die Bundesregierung die Förderung von erneuerbaren Energien weiter beschneiden will, um wenige Strom-Großkonzerne zu schützen – der Kohlelobby sei Dank.