Donnerstag 24. September 2015

Referentin:

Prof. Dr. Patrizia Nanz, Leiterin des Forschungsschwerpunktes Partizipationskultur, Kulturwissenschaftliches Institut Essen:
„Ohne Beteiligung wird es keine Akzeptanz der Energiewende geben“

„Wenn der Wind der Erneuerung weht, dann bauen die einen Menschen Mauern und die anderen Windmühlen“, das besagt eine Lebensweisheit aus China.

Am 24.09.2015 ging es um Akzeptanz und Beteiligung: 93 Prozent der Bundesbürger – Stand 09.09.15, TNS Emnid – sind für den Ausbau Erneuerbarer Energien. Doch wenn es um konkrete Windräder oder Überlandleitungen geht, scheinen die NIMBYs (not in my backyard) die Mehrheit zu haben. Doch das stimmt nicht, sie sind oft nur lauter: Befragt nach der Zustimmung zu Stromerzeugungsanlagen in der eigenen Nachbarschaft, bewertete auch in Bundesländern mit hoher Anlagendichte eine Mehrheit von 68 Prozent Erneuerbare-Energien-Anlagen in der Nähe des eigenen Wohnortes als „gut“ oder „sehr gut“ – deutlich mehr als bei fossilen oder nuklearen Anlagen: Gas 25%, Kohle 7%, Atom 4%. Beim Blick auf die verschiedenen Erzeugungstechnologien haben Solar- und Windanlagen die Nase vorne. Die Akzeptanzwerte sind noch höher, wenn die Menschen bereits solche Anlagen in ihrer Nähe haben.

Trotzdem gibt es natürlich auch bei objektiven Vorteilen für alle manchmal auch erbitterten Widerstand gegen jede (technische) Änderung; insbesondere bei Menschen, die vor Ort Nachteile haben oder befürchten, aber keinen unmittelbaren Vorteil. Wenn vor-Ort-Nachteile auf Allmende-Vorteile prallen.

Frühestmögliche Informationen sind eine der notwendigen Bedingungen, Großprojekte oder Energieanlagen durchzusetzen. Zum anderen ist die mittelbare und unmittelbare Beteiligung der Menschen unabdingbar erforderlich – sei es durch Befragungs-, Konsultations- und Abstimmungsverfahren oder auch finanzielle Beteiligung. Doch rationale Argumente sind oft nutzlos, um negativ betroffene Menschen zu überzeugen; auch Emotionen müssen angesprochen werden.

Frau Prof. Dr. Patrizia Nanz, Leiterin des Forschungsschwerpunktes Partizipationskultur am Kulturwissenschaftlichen Institut Essen, zugleich CEO European Institute for Public Participation, begann mit generellen Überlegungen, wie die Energiewende unser demokratisches Zusammenleben umgestaltet und weiterentwickelt; alte durch neue Technik zu ersetzen genüge nicht. Gefragt seien nicht nur technische, sondern auch demokratische Innovationen. Wer Solarzellen auf seinem Dach montiert, ist nicht nur Konsument, sondern auch Produzent (= „Prosumer“), er verlangt neue Mitwirkungs- und Gestaltungsmöglichkeiten.

In der Diskussion zur Energiewende (zu allen großen Transformationen) komme die Unterscheidung von Akzeptanz und Akzeptabilität zu kurz, so Nanz: Empirische Legitimität meint die tatsächliche Akzeptanz einer (technischen) Regelung; Akzeptabilität bezieht sich dagegen auf die Zustimmungswürdigkeit einer Lösung, z.B. weil das Entscheidungsverfahren fair und demokratisch war (normative Legitimität). In der Regel erzeugt Akzeptabilität auch Akzeptanz; doch die Partizipationserwartungen der Bürger sind in den letzten Jahren deutlich gestiegen, 90% verlangen mehr Mitsprache bei Infrastrukturplanungen.  

Präsentation Prof. Dr. Patrizia Nanz: Klicken Sie hier

Frau Nanz hat – was den Abend besonders spannend machte – eine ganze Reihe streitiger Beteiligungsverfahren mit-gemacht, gesteuert, wissenschaftlich ausgewertet, insbesondere beim Ausbau des Übertragungsnetzes (Erweiterung um 3.500 km HGÜ-Leitungen mit z.T. über 100 Meter hohen Masten). Ihre Feststellung: Wenn der Übertragungsnetzbetreiber (z.B. TenneT) mit einem konkreten Leitungsverlauf unter Einschluss der regionalen Entscheidungsbehörden zu planen beginnt, dann erst werden die betroffenen Bürger informiert/konfrontiert; zu diesem Zeitpunkt aber hat der Bundesgesetzgeber längst das „Ob“ der Leitung beschlossen: Das aktuelle Planungsrecht bietet nur wenig Spielraum für zeitgemäße Partizipation.

Wer hier „nachträglich“ – gegen den Willen der Bürger – Akzeptanz „herstellen“ wolle, werde scheitern, so Nanz. Angesagt sind Verfahren der dialogorientierten Beteiligung: Betroffene, Netzbetreiber, Bürgerinitiativen, Umweltverbände, wissenschaftliche Experten, Planungsbehörden, Kommunalvertreter werden zusammengebracht, um über Planungen zu beraten. Ziele sind, transparent, zutreffend und ausgewogen über den Netzausbau zu informieren sowie Möglichkeiten der Mitgestaltung in der Planung des Trassenverlaufs zu suchen. Es gilt, alternative Positionen abzuwägen. Im Gegensatz zu Bürgerentscheiden geht es also um Konsultation. Das Antragsrecht auf einen bestimmten Trassenverlauf verbleibt beim Netzbetreiber (dies zu tun ist seine Pflicht), die Letztentscheidung bei der Genehmigungsbehörde (bzw. der folgenden Verwaltungsgerichtsbarkeit).
Ostbayernring von Redwitz nach Schwandorf: Für den Raum Windischeschenbach – Schwanforf hat das KWI mit Frau Nanz als Forschungsleiterin, finanziert vom Bundesforschungsministerium, September 2014 bis Juli 2015 zwei Begleitprozesse entwickelt und durchgeführt. Es gab drei öffentliche Veranstaltungen (für jedermann, je 100 Bürger); und ein „Trassenuntersuchungsteam“ aus Bürgermeistern der betroffenen Gemeinden, Behördenvertretern, Vertretern verschiedener Verbände, TenneT als verantwortlicher Netzbetreiber, Umwelt- und Technikexperten und acht Bürgern, ausgewählt nach dem Zufallsprinzip, gesteuert nach Geschlecht, Alter etc..
Es ging nicht darum, Zustimmung zur Stromleitung zu „erzeugen“; sondern darum, alternative Trassenkorridore zu entwickeln, durch die möglichst wenige Menschen, Natur- und Erholungsräume etc. beeinträchtigt werden. Was auch gelang. TenneT hat dann – wozu es keinen rechtlichen Zwang gibt – die von den Bürgern mehrheitlich präferierte Alternativtrasse entlang einer Autobahn als Grundlage der Genehmigung im Raumordnungsverfahren gemacht. Damit wurde sichergestellt, dass die Ergebnisse der Bürgerbeteiligung im formellen Verfahren Berücksichtigung finden.

Ob gegen die bevorstehende Genehmigungs-Entscheidung durch die Regierung von Oberpfalz Verwaltungsgerichtsprozesse angestrengt werden, bleibt abzuwarten. „Akzeptanz“ aufgrund eines Bürgerbeteiligungs-Verfahrens bedeutet ja nicht, dass alle Menschen der gefundenen Lösung zustimmen. Aber der Widerstand gegen die dortige TenneT-Übertragungsleitung hat erkennbar deutlich abgenommen.

Auch wenn Beteiligungsverfahren ihre Grenzen haben, so erzeugen sie doch positive „Nebeneffekte“: Sie führen häufig zu besseren Lösungen und erleichtern die Umsetzung eines Infrastrukturprojekts; sie erhöhen in der Bevölkerung das Verständnis für die Komplexität solcher Projekte; es werden Konflikte (und Klagen) reduziert und Menschen an einen Tisch zusammengebracht, die sonst nicht miteinander reden würden; Partikularinteressen werden eingedämmt, soziales Lernen – bei allen Beteiligte – wird initiiert und katalysiert.
Zu fragen ist, ob und wie das Planungsrecht so umgestaltet werden muss und kann, dass partizipative Verfahren und deren Ergebnisse als Grundlage eines Genehmigungsverfahrens künftig verpflichtend werden. Die Kosten eines solchen Begleit-Verfahrens – rd. 1% der Gesamtkosten – dürften angesichts möglicherweise vermiedenen jahrelangen Rechtsstreits mit Umplanungen und langen Projektverzögerungen jedenfalls nicht entgegen stehen.

Institutionalisierte Mitwirkungsangebote sind das Gebot der Stunde: Nicht nur bei Überlandleitungen, sondern bei allen größeren Infrastrukturprojekten in Deutschland.

Rückblick von Dr. Helmut Paschlau (der hoffentlich gut aufgepasst hat)