Donnerstag, den 23. Januar 2014,
18:00 Uhr

Neues Rathaus, Großer Sitzungssaal, München, Marienplatz 8

Vortragende:

  • Prof. Dr. Claudia Kemfert, Abteilungsleiterin Energie, Verkehr, Umwelt am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin), Professorin für Energieökonomie und Nachhaltigkeit an der Hertie School of Governance, Berlin

Das Thema hieß: „Energiewende: Mehr Chancen als Risiken!“. Ausrufezeichen. Nach den letzten Ereignissen – Gabriel-Papier für die Bundesregierung – muss das zum Fragezeichen werden? Was wurde nicht alles diskutiert?! Ausbau der Erneuerbaren Energien nur noch nach Ausbaukorridoren; Begrenzung der Windkraft onshore wie offshore; Biomasse nur noch aus Reststoffen; Stärkung der (Braun-) Kohle als angebliche „Übergangstechnologie“, CO2-Schleudern schlechthin; trotz Strompreisbremsen-Diskussion: weiter steigende EEG-Umlage trotz fallender Börsen-Strompreise; kein CO2-Emissionen-Gesetz, keine Wiederbelebung des CO2-Emissions-Handels; Re-Zentralisierung von Strom-Erzeugung und -Verteilung; Erschwerung von Bürger-Energie-Genossenschaften; Bürgerbeteiligung weiterhin unter „ferner liefen“; keine Fortschritte beim Energiesparen; keine Steuerabschreibungen bei energetischer Gebäudesanierung; keine gesetzlichen Ziele bei Wärme und Verkehr; kein Energiewende-Masterplan für Bund und Länder; keine Aufbruch-Stimmung, sondern konkrete Abwicklungs-Befürchtungen bei Klimaschutz und Energiewende.

Noch im März 2013 hatten die Experten von McKinsey der Bundesregierung mit ihrem „Energiewende-Index“ bescheinigt, dass nur bei vier von 15 Zielen Hoffnung besteht, die europäischen und deutschen gesetzlichen Vorgaben bis 2020/2050 zu erreichen. Trotzdem hatte Arbeitgeber-Präsident Hundt im September 2013 einen „Förderstopp“ für neue Anlagen Erneuerbarer Energien gefordert. Industriepräsident Grillo verlangte gleich eine „radikale Reform binnen 100 Tagen nach der Wahl“, sonst drohe Industrie-Boykott. Die Chefs von RWE und E.ON sprachen von drohenden Strom-Blackouts. „Union und SPD begraben die Energiewende“, hat DIE ZEIT am 22. November getitelt. Tür auf für weitere CO2-Kohlekraftwerke, Ende der deutschen Vorreiter-Rolle mit erheblichsten ökologischen und weltwirtschaftlichen Vorteilen bei deren Erfolg? Macht Superminister Gabriel im „dreamteam“ mit Klima-Kanzlerin Merkel Industrie- statt Energiewende-Politik?

Die bekannteste Energie-Professorin Pro-Energiewende hat uns 180 TeilnehmerInnen ihre Einschätzung erläutert: Frau Prof. Dr. Claudia Kemfert leitet seit 2004 die Abteilung Energie, Verkehr, Umwelt am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) und ist Professorin für Energieökonomie und Nachhaltigkeit an der Hertie School of Governance, Berlin.

Von den zehn Mythen, die sie in ihrem Buch „Kampf um Strom“ abhandelt, hat sie in ihrem Vortrag drei vertiefend dargestellt:

  • „Energiewende ist nicht zu schaffen“: Da werde „Atomausstieg“ (bis 2022) mit „Energiewende“ (bis 2050) gleichgesetzt. Energiewende ist aber viel mehr als Erneuerbare Energien in der Erzeugung statt Atom; nämlich Energie sparen, Verhaltensänderung in Industrie und Privathaushalt, Umbau der Stromversorgung auf Dezentralität, (intelligente) Verteilnetze und smard grids im Haushalt, Eigenerzeugungssteuerung großer Industrien, Hauptenergieverbraucher Verkehr und Heizung…
  • „blackouts“: Seit 1979 werden wir von Medien „blackouts“-verängstigt (damals um AKWs durchzusetzen, heute, um Erneuerbare Energien zu verhindern): Es hat sie noch nie gegeben. Wir importieren nicht „Atomstrom aus Frankreich und Tschechien“, Deutschland ist Strom-Export-Weltmeister, dank Erneuerbarer Energien. Doch wir müssen Strom europäisch zu organisieren lernen; Großbritannien will neue AKWs bauen mit einer für 35 Jahre garantierten „EEG-Umlage“ von 11 Ct/kWh (ohne Entsorgung etc.); in Deutschland bekommen wir Windenergie für 6-9 Ct/kWh!
  • „Strompreisbremse“: Eine gelungene Ablenkungsshow: Es wird nicht mehr geredet über die Benzinpreise, die Kosten für Heizung und Mobilität, die steigenden Preise für Rohöl und -gas. Nicht über den Mechanismus, dass bei fallenden Strompreisen an der Leipziger Strompreisbörse – bedingt durch deutlich niedrigere Kosten erneuerbarer als konventioneller Energien – die EEG-Umlage zulasten der Haushalte steigt und die Strompreisbelastung für die Industrie sinkt. Dass wegen des politisch heruntergewirtschafteten CO2-Emissionsrechtehandels – derzeit 5, statt nötigen >20€/t CO2 – die Preise für Energie zulasten des Klimaschutzes zugunsten der Kohle viel zu billig sind.

Kemfert verlangte eine ehrliche Diskussion. Sie als Ökonomin sehe volkswirtschaftlich weitaus höhere Vorteile als Nachteile aus der Energiewende, ganz zu schweigen von höheren Anstrengungen um den Klimaschutz. Trotz der Vorhaben der neuen Bundesregierung sei sie aber zuversichtlich: Die Energiewende ist längst in Bürgerhand – und nicht mehr zurück zu drehen.

Wer Stellungnahmen, Begründungen für die Ablehnung eines „Kapazitätsmarkts“ (= Weiterfinanzierung abgewirtschafteter Kohlekraftwerke) und insbesondere die neue Studie des DIW zu den (volkswirtschaftlichen) Vorteilen der energetischen Sanierung von Gebäuden anschauen möchte: Bitte klicken.

"In gewohnt deutlicher Art hat Kemfert eine Rundsicht geliefert, die den Mutbürgern für Energiewende Mut macht", meint Dr. Helmut Paschlau.